KG Berlin, Urteil vom 10.02.2006, Az. 9 U 55/05 – Störerhaftung bei Meta-Suchmaschine

Gericht: KG Berlin
Aktenzeichen: 9 U 55/05
Entscheidungsdatum: 10.02.2006
Normen: §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB
Vorinstanz(en): LG Berlin, Urteil vom 22.02.2005, Az. 27 O 45/05
Leitsätze der Redaktion:
Bezüglich der Haftung für Rechtsverletzungen gelten für Metasuchmaschinen die gleichen Grundsätze wie für normale Suchmaschinen. Eine Haftung des Betreibers kann frühestens ab Kenntnis der Rechtsverletzung bejaht werden.

Wenn zwischen den Parteien streitig ist, ob zum gerügten Zeitpunkt ein beanstandetes Suchergebnis noch online war, so gelten die normalen zivilprozessualen Regeln der Darlegungs- und Beweislast; d.h. im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens muss der Antragsteller dies glaubhaft machen.

KAMMERGERICHT BERLIN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Tenor:

In dem Rechtsstreit (…) hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2006 (…) für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 22. Februar 2005 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 27 O 45/05 – geändert:

1. Die einstweilige Verfügung vom 20. Januar 2005 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

(…)

Entscheidungsgründe:

I.
Die als Fernsehmoderatorin tätige Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen im Internet in Anspruch. Die Antragsgegnerin ist Inhaberin der Domain www.a(…).de und betreibt unter dieser Adresse eine sogenannte Meta-Suchmaschine, die im Internet hinsichtlich eines bestimmten Begriffs oder einer Begriffskombination die Suchergebnisse anderer Suchdienste auswertet und dem Nutzer anzeigt.

Die Antragstellerin hat am 20. Januar 2005 eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung erwirkt. Diese ist nach Widerspruch der Antragsgegnerin durch Urteil vom 22. Februar 2005 bestätigt worden. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien erster Instanz und der Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung macht die Antragsgegnerin insbesondere geltend:

Weder ihr Geschäftsführer noch ihr Verfahrensbevollmächtigter habe am 17./18. Januar 2005 nach Eingabe der Worte „B… E…. nackt“ die beanstandeten Links gefunden.

Dieser Suchbegriff sei bereits am 12. Juli 2004 in die Sperrliste von Yahoo! aufgenommen worden.

Von diesem Zeitpunkt an habe das System von Yahoo! die beanstandeten Links nicht mehr ausgeben können, weder an „a.(…).de“ noch an sonst einen Nutzer. Die vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten Anlagen gäben nicht den Stand der Ergebnisse um den 17. Januar 2005 wieder.

Sehr wahrscheinlich stammten die Angaben – zumindest technisch – noch aus der Zeit früherer Recherchen des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin. Bei dieser Sachlage sei sie, die Antragsgegnerin, nicht verpflichtet gewesen, auf bloßen Vorhalt eines Dritten Sperrmaßnahmen einzuleiten.

Insoweit seien auch die technischen Besonderheiten einer Meta-Suchmaschine zu berücksichtigen. Da es keinerlei eigene Datenbestände gebe, tauche das Problem auf, dass der angebliche Mitstörer seine eigene Mitwirkungshandlung nur durch eine Wiederholung der beanstandeten Abfrage überprüfen könne.

Hier seien diese Überprüfungen negativ verlaufen. Damit sei sie den ihr obliegenden Prüfungspflichten ausreichend nachgekommen. Die Abmahnung habe sich als inhaltlich unzutreffend dargestellt. Im Übrigen sei bereits in erster Instanz vorgetragen worden, dass eine Bearbeitung oder Unterdrückung der von den Suchmaschinen gelieferten Ergebnisse technisch nicht möglich sei.

Zudem habe ihr Geschäftsführer erklärt, dass derzeit bereits die Eingabe der Begriffe „nackt“ und des Vor- und Zunamens der Antragstellerin durch eine gesonderte Programmierung unmöglich gemacht worden sei. Um unabhängig vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens dem Gebot des Gerichts nachzukommen, habe die Antragsgegnerin auf diese Weise deutlich mehr Ergebnisse vom Abruf ausgenommen, als mit der Verbotsverfügung verlangt war.

Diese vorläufige Maßnahme könne aber „selbstverständlich kein Endzustand sein, um die von der Verfügungsbeklagten beanstandeten Links zu unterbinden“. Außerdem sei sie, die Antragsgegnerin, nur „Mitstörerin zweiten Grades“. Störer sei der Betreiber der von der Antragstellerin gerügten Website.

Mitstörer „ersten Grades“ sei die jeweilige Suchmaschine, hier also Yahoo!. Die Antragstellerin habe sich deshalb an Yahoo! wenden müssen. Dort seien technische Mittel vorhanden, um die Störung schnell, günstig und zuverlässig zu unterbinden. Schließlich brauche eine Meta-Suchmaschine technisch zwingend längere Zeit für eine Antwort als die jeweiligen Suchmaschinen selbst. Sofern die zurückströmenden Antworten dann auch noch von einer Software durchsucht werden müssten, würde sich diese Reaktionszeit noch einmal mehr als verdoppeln, was das Angebot für die User vollständig unattraktiv machen und damit das gesamte Geschäftsmodell der Antragsgegnerin zum Scheitern verurteilen würde.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil der Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin vom 22. Februar 2005 – 27 O 45/05 – zu ändern, die einstweilige Verfügung vom 20. Januar 2005 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.

II.
Die Berufung ist zulässig und begründet.

1.
Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin aus den vom Landgericht genannten Gründen, auf die Bezug genommen wird, keinen Anspruch auf Unterlassung nach spezialgesetzlichen Vorschriften.

Der Gesetzgeber hat die Verantwortlichkeit für den von einer Internet-Suchmaschine wiedergegebenen Inhalt im Rahmen der Novellierung des Teledienstesgesetzes in Anlehnung an die Richtlinie über den elektronischen Warenverkehr (vgl. Artikel 21 Abs. 2 der RiL 2000/31/EG – E-Commerce-RiL, ABlEG Nr. L 178 vom 17. Juli 2000) bewusst nicht geregelt (vgl. dazu auch BGH, WRP 2004, 899/901 – Schöner Wetten; Spindler, NJW 2002, 921/924). Es fehlt deshalb auch an einer eine analoge Anwendung der Regelungen des Teledienstesgesetzes rechtfertigenden planwidrigen Lücke.

2.
a)
Die Frage einer Störerhaftung der Antragsgegnerin beurteilt sich deshalb nach allgemeinen Grundsätzen.

Danach kann als Störer grundsätzlich jeder auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, der – auch ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat – kausal zur Verletzung eines geschützten Rechtsguts beiträgt (vgl. BGH NJW 2004, 3102/3105 – Internet-Versteigerung; GRUR 2002, 618/619 – Meißner Dekor; NJW 2001, 3265/3266 – ambiente.de). Diese Grundsätze sind im Fall der Verletzung nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB geschützter absoluter Rechte uneingeschränkt anzuwenden.

Soweit in der neueren Rechtsprechung eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Institut der Störerhaftung zum Ausdruck kommt und erwogen wird, die Passivlegitimation für den Unterlassungsanspruch allein nach den deliktsrechtlichen Kategorien der Täterschaft und der Teilnahme zu begründen (vgl. BGH NJW 2003, 2525 – Buchpreisbindung; BGH NJW-RR 2003, 1685 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen), betrifft dies Fälle des Verhaltensunrechts, in denen keine Verletzung eines absoluten Rechts in Rede steht. Im Fall der Verletzung von Immaterialgüterrechten, die – wie hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin – auch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB Schutz genießen, sind die Grundsätze der Störerhaftung uneingeschränkt anwendbar (BGH, NJW 2004, 3102/3105 – Internet-Versteigerung).

b)
Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass die auf Unterlassung in Anspruch genommene Betreiberin einer Meta-Suchmaschine lediglich die Suchergebnisse anderer Suchdienste auswertet und dem Nutzer brauchbare Informationen aus einer gigantischen Informationsmenge in Kürze nur in einem automatisierten Verfahren vermittelt werden können.

Angesichts dessen ist es einem Unternehmen wie dem der Antragsgegnerin nicht möglich und zuzumuten, jedes Rechercheergebnis vor der Anzeige des Abfrageergebnisses auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu überprüfen. Eine solche Obliegenheit würde ihr gesamtes Geschäftsmodell in Frage stellen. Die Störerhaftung der Antragsgegnerin setzt deshalb die Verletzung von Prüfungspflichten voraus (vgl. dazu auch BGH, NJW 2004, 3102/3105 – Internet-Versteigerung m. w. N.).

3.
Eine Verletzung dieser Pflicht kann hier nicht festgestellt werden.

Die Antragsgegnerin hatte zwar aufgrund des Abmahnschreibens der Antragstellerin vom 17. Januar 2005 hinreichenden Anlass, die beanstandeten Einträge auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung hin zu überprüfen.

Dieser Pflicht ist sie jedoch nachgekommen, ohne dass Anlass bestand, die verlangte Unterlassungserklärung abzugeben und Maßnahmen zu treffen, die ein künftiges Erscheinen der streitgegenständlichen Einträge in der Trefferliste verhindern.

Die mit dem Verlangen auf Abgabe einer Unterlassungserklärung verbundene Abmahnung war unbegründet. Die Antragstellerin hat die Berechtigung der Abmahnung nicht glaubhaft zu machen vermocht.

Nach dem Vortrag der Parteien und den von ihr zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen kann nicht festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin beigetragen hat.

Aus den vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin eingereichten Ausdrucken aus dem Internet und den von ihm abgegebenen Erklärungen scheint sich zwar die Ausgabe der beanstandeten Suchergebnisse durch die Antragsgegnerin zur Zeit der Abmahnung zu ergeben. Dem entgegen stehen jedoch die Eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Antragsgegnerin und die Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten, sie hätten die Trefferliste nicht reproduzieren können.

Ob diese Behauptung grundsätzlich ausreicht, die Rechtsverletzung und das Unterlassungsbegehren der Gegenseite ernsthaft in Frage zu stellen, kann dahinstehen. Denn hier kommt zum einen hinzu, dass die Meta-Suchmaschine der Antragsgegnerin über keine eigenen Datenbanken verfügt, auf die sie bei der Abfrage zurückgreift und über die sie nach Erhalt der Abmahnung weiter hätte recherchieren können; vielmehr übermittelt sie die jeweiligen Treffer anderer Suchmaschinen – hier Yahoo! – direkt und online.

Zum anderen konnte die Antragsgegnerin das ihr von der Antragstellerin mitgeteilte Rechercheergebnis auch deshalb mit gutem Grund anzweifeln, weil die direkte Abfrage bei der Suchmaschine Yahoo! ebenfalls negativ verlief und damit eine Übernahme durch die Meta-Suchmaschine der Antragsgegnerin ausgeschlossen erscheinen konnte.

Für die Richtigkeit der Darstellung der Antragsgegnerin spricht das Schreiben der Rechtsabteilung von Yahoo! vom 5. April 2005, nach dem die streitgegenständliche Begriffskombination bereits am 16. Juli 2004 – mithin Monate vor der Abmahnung – in eine Sperrliste aufgenommen worden war und dadurch keine Einträge bei den Suchergebissen mehr angezeigt und vermittelt werden konnten. Für die Sperrung durch Yahoo! spricht außerdem die Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin, auf entsprechende Anfrage bei Yahoo! ebenfalls keinen Eintrag erhalten zu haben.

Ob die Erklärungen der Antragsgegnerin zu den möglichen Gründen der divergierenden Abfrageergebnisse bei a.(…).de, die sie durch die Eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers ihres technischen Dienstleisters untermauert hat, zutreffen, kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens letztlich nicht geklärt werden.

Die auch in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretenen Widersprüche gehen zu Lasten der Antragstellerin, die die Glaubhaftmachungslast trägt.

Nach alledem kann auch nicht von einer Erstbegehung auf die Gefahr zukünftiger Rechtsverletzungen durch die Antragsgegnerin geschlossen werden.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.